Viele Menschen können das Wort „Gesundheitsreform“ schon nicht mehr hören. Seit Juni 2006 wird darüber geredet, gestritten, zeitweise drohte die Koalition daran zu zerbrechen und dann wurde auch immer wieder von Einigung gesprochen. Fakt ist auf jeden Fall, dass aller Kritik zum Trotz diese Reform mit Namen GKV (bedeutet Gesetzliche Krankenversicherung)-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) zum 01.04.2007 in Kraft treten wird. Sie macht Druck auf die Krankenkassen, stärker als bisher im Wettbewerb zu agieren. Ob diesem „Zwang zum Wettbewerbsglück“ allerdings Erfolg beschieden sein wird, das wagen entsprechende Experten kaum vorherzusagen. Fragt man Krankenkassenvertreter, was die Gesundheitsreform den Versicherten bringt, bekommt man z.B. zur Antwort: „Sie bietet dem Kunden tatsächlich erst die Möglichkeit, sich auf einem wachsenden Gesundheitsmarkt neu zu orientieren“.
Mittel zum Zweck dieses neuen Wettbewerbs sind gesetzlich verpflichtende sowie freiwillige Wahltarife, welche die Krankenkassen ihren Versicherten entweder anbieten müssen oder können. Den Versicherten steht es dann in der Regel frei, sich für einen solchen Tarif zu entscheiden. Die Versicherten profitieren von diesen Wahltarifen z.B. dadurch, dass sie weniger Beitrag zahlen müssen, sie bei Medikamenten weniger zuzahlen müssen oder auch Prämienzahlungen bekommen. Die Krankenkassen sollen damit Behandlungs- und Arzneimittelkosten sparen.
Ab dem 01. April dieses Jahres gilt:
-Die Krankenkassen müssen spezielle Wahltarife für die Teilnahme der Versicherten an besonderen Versorgungsformen anbieten, wie z.B. der Hausarztzentrierten Versorgung.
-Der Krankenkasse steht es frei, in diesen Wahltarifen festzulegen, ob die Versicherten entweder eine Prämienzahlung oder Zuzahlungsermäßigungen erhalten.
-Anbieten können Kassen ab dem 01. April reduzierte Selbstbehalttarife, Bonustarife für die Nichtinanspruchnahme von Leistungen, variable Kostenerstattungstarife sowie Tarife, welche die Übernahme der Kosten für von der Regelversorgung ausgeschlossene Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen, wie z.B. Homöopathika beinhalten.
Ohne, dass man jetzt so einen Wahltarif kennt, könnte das bedeuten, dass Menschen, die sich entscheiden, auf einen Hausbesuch zu verzichten oder auf andere Leistungen, dann wieder weniger bezahlen müssen. Beim Auto kann man sich so einen Selbstbehalttarif ja ganz gut vorstellen, aber bei Krankheiten???? Kostenerstattung würde bedeuten, der Patient kann zu jedem Arzt gehen, er ist praktisch Privatpatient, bekommt von seinem Arzt eine Rechnung, reicht die bei der Krankenkasse ein und bekommt einen bestimmten Betrag erstattet. Der Vertrag mit den besonderen Therapieeinrichtungen wird sicher etwas teurer sein, aber dafür würde die Krankenkasse dann auch z.B. homöopathische Arzneimittel übernehmen oder bestimmte alternative Heilverfahren.
Entscheiden sich Versicherte für einen Selbstbehalt, müssen Sie einen festen Anteil ihrer Behandlungskosten, z.B. 1.000 Euro selbst übernehmen. Dafür reduziert sich der Kassenbeitrag um beispielsweise 600 Euro. Solche Tarife sind hauptsächlich für junge und gesunde Versicherte von Interesse. So ein Selbstbehalt kann aber auch zum Pokerspiel mit der eigenen Gesundheit werden, sind doch die Versicherten 3 Jahre an einen Selbstbehalttarif gebunden. Werden sie in dieser Zeit schwer krank, ist die Belastung durch den Selbstbehalt deutlich höher als die Ersparnis.
Einige Krankenkassen werben mittlerweile damit, dass sie ab 01. April mit bis zu 10 Wahltarifen auf den Markt kommen werden. Wie diese Tarife aussehen werden, darüber sagen die Kassen aus Wettbewerbsgründen noch nichts. Auf jeden Fall hat der Gesetzgeber festgelegt, dass für alle Tarife, die Kassen freiwillig anbieten können, eine Mindestbindungsfrist von 3 Jahren gilt. Das heißt für die Versicherten: Sie legen sich für diesen Zeitraum auf einen solchen Tarif gegenüber ihrer Krankenkasse fest und die Kasse kann auch vor Ablauf dieser Frist nur in Härtefällen (was immer das bedeutet) gewechselt werden. Prämienzahlungen sind auch gesetzlich in der Höhe begrenzt. Sie dürfen grundsätzlich 20 % der vom Mitglied in einem Jahr getragenen Beiträge, höchstens jedoch 600 Euro, nicht überschreiten.
Ab dem 01. April hat auf jeden Fall der Versicherte die Qual der Wahl. Gingen nämlich alle Kassen zum 01. April mit 10 Wahltarifen an den Start, stünden auf einen Schlag mehr als 2.000 Tarife zur Auswahl. Jeder Versicherte kann sich künftig also unterschiedliche Leistungspakete schnüren und erwartet von seinem Arzt natürlich dann auch, dass er die damit verbundenen Sonderregelungen bis ins Detail kennt. Da ist das Chaos programmiert, vor allem überblicken die Kassen dieses Riesenfeld selbst noch nicht vollständig. Es wird also zukünftig die Frage, bei welcher Krankenkasse ein Patient versichert ist, nicht mehr ausreichen. Der Arzt muss wissen, ob sein Gegenüber einen Selbstbehalt vereinbart hat und deshalb lieber ein Privatrezept möchte oder ob er vielleicht einen Wahltarif abgeschlossen hat, der ihm die sonst von der Verordnung ausgeschlossenen Arzneimittel, z.B. homöopathische Mittel, auf Kassenrezept garantiert.
Rechnen sich denn Wahltarife mit Selbstbeteiligung auf jeden Fall für die Krankenkassen? Entsprechende Ökonomieexperten bezweifeln dies. Warum? Mal Gesetz dem Fall eine Krankenkasse hat viele Patienten, die sich für eine Selbstbeteiligung entscheiden. Die Patienten bekommen dann natürlich eine Prämienzahlung. Jetzt kann es aber trotzdem sein, dass genau diese Krankenkasse plötzlich eine ganze Menge schwerkranker Patienten hat, die viel Geld kosten. Das kann der Fall sein, weil zunächst einmal viele Menschen zu dieser Krankenkasse gehen, weil sie günstige Tarife anbietet, oder aber die Schwerkranken schon alleine deshalb zunehmen, weil die Versicherten wegen des ausgehandelten Tarifs erst sehr spät (zu spät) zum Arzt gehen. Bei einer Autoversicherung mag das gehen, sie zahlt nur die größeren Blechschäden, die kleineren zahlt der Autobesitzer selbst. Aber kann der Patient wirklich entscheiden, ob es sich hier um einen kleineren Schaden handelt, den er selbst behandelt oder ob es sich um etwas Ernsteres handelt, womit er eigentlich gleich zum Arzt gehen muss?? In der Regel fangen eine harmlose Erkältung und auch eine Krebserkrankung damit an, dass der Patient sich nicht wohl fühlt und er am Anfang schlicht und ergreifend nur sagt: „mir ist es nicht“ oder auf gut rheinhessisch “ mir isses net!“ Ein zu langes Abwarten kann für den Patienten fatale Folgen haben und wird dann für die Krankenkasse auch richtig teuer. Zurück zu dieser ganz speziellen Krankenkasse. Durch die hohen Kosten der Schwerkranken entsteht in der Kasse ein Defizit, was ausgeglichen werden muss. Womit? Natürlich mit einer Beitragssatzerhöhung, die dann zwar später einen anderen Namen haben wird, was den Versicherten allerdings wenig nutzt, müssen sie doch in jedem Fall mehr bezahlen.
Die Gesundheitsreform wirkt sich auch auf Privatversicherte aus, allerdings tritt die größte Änderung für die Private Krankenversicherung (PKV) erst am 01.01.2009 in Kraft, das ist der neue verbandseinheitliche Basistarif. Auch zum 01.09.2009 tritt die allgemeine Pflicht zur Krankenversicherung in Kraft und es wird bei den gesetzlichen Kassen der Gesundheitsfonds eingeführt. Basistarif bedeutet, dass jeder Kunde einer PKV (Bestandskunde) im ersten Halbjahr 2009 in den Basistarif seiner PKV wechseln kann. Nach diesem Zeitraum ist dieser Tarifwechsel nur noch ab dem 55. Lebensjahr oder bei einer finanziellen Hilfebedürftigkeit möglich. In diesem Basistarif sind geringere Prämien vorgesehen, was natürlich auch eingeschränkte Leistungen nach sich zieht. Zunächst aber muss ein solcher Basistarif mit seinen Prämienbegrenzungen, dem Verzicht auf Risikozuschläge und den Leistungsausschlüssen finanziert werden. Wie macht man das? Über ein Umlageverfahren aller PKV-Versicherten. Ab dem 01. Januar 2009 muss auch eine PKV jeden Bürger in den Basistarif aufnehmen. Zur Zeit ist es noch so, dass jemand nur dann in die private Krankenversicherung wechseln kann, wenn sein Gehalt 3 Jahre lang über der jeweiligen jährlichen Versicherungspflichtgrenze gelegen hat. Aktuell liegt dieser Wert bei 47.700 Euro.
Empfehlung: Versicherte sollten die neuen Wahltarife der Krankenkassen nicht vorschnell abschließen, sondern warten, bis es Transparenz im Markt gibt. Solange das nicht der Fall ist, können Ärzte auch ihre Patienten in dieser Frage nicht beraten. Die Krankenkassen können von den Ärzten auch nicht verlangen, dass sie sich durch sämtliche Vertragsangebote durcharbeiten.
Was steht noch im GKV-WSG?
Chroniker-Regel:
Bei chronisch kranken Patienten werden Vertragsärzte künftig entscheiden müssen, ob für diese chronisch Kranken eine reduzierte Zuzahlungsgrenze von 1 % des jährlichen Bruttoeinkommens gilt. Kriterium dafür soll laut Gesetz „therapiegerechtes Verhalten“ sein. Das bedeutet für diejenigen, die bereits heute chronisch krank sind, dass sie den Empfehlungen des Arztes Folge leisten, der Gesetzgeber nennt das „beispielsweise durch Teilnahme an einem strukturierten Behandlungsprogramm“. Für die heute Gesunden heißt das, dass sie regelmäßig an den empfohlenen Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen: Gesundheitsuntersuchung ab dem 35. Lebensjahr und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen für Männer und Frauen. Nähere Einzelheiten, vor allem auch Ausnahmen, müssen noch im Gemeinsamen Bundesausschuss definiert werden, in dem sitzen drin Krankenkassen, Ärzte und Patientenvertreter.
Zweit-Meinung:
Spezialmedikamente mit hohen Jahrestherapiekosten oder mit erheblichem Risikopotential können Ärzte künftig nur noch verordnen, wenn sie eine Zweitmeinung einholen. Näheres muss auch der Gemeinsame Bundesausschuss regeln. Hoffentlich mit viel Fingerspitzengefühl, ansonsten kann es in der Praxis sehr chaotisch werden.
Schutzimpfungen:
Sie werden Pflichtleistung der GKV und sollen auch außerhalb des großen Budgets vergütet werden. Es kann dann nicht mehr sein, dass die eine Krankenkasse die Impfung bezahlt und die andere eben nicht, sondern, wenn Impfungen von der STIKO (ständige Impfkommission) empfohlen sind, dann müssen Krankenkassen sie bezahlen.
Palliativversorgung:
GKV-Versicherte bekommen am Lebensende einen Anspruch auf spezialisierte, ambulante Palliativversorgung. Dafür sollen Ärzte und Pflegekräfte so genannte Palliativ-Care-Teams bilden. Für wen der Anspruch gilt, muss der Bundesausschuss definieren. Palliativ heißt am Beispiel Krebserkrankung: Es ist zwar im wahrsten Sinne des Wortes keine Hilfe mehr möglich, aber man kann ja mit der entsprechenden Behandlung auch noch für ein Stück Lebensqualität sorgen, vor allem schmerzfrei.
Rehabilitation:
Die geriatrische Rehabilitation wird Pflichtleistung der Kassen.
Mutter/ Vater-Kind-Kuren:
Auch dieses Kuren können Ärzte künftig zu Lasten der gesetzlichen Kassen verordnen.
Übrigens, damit es den Versicherten nicht langweilig wird: Zum 01. Januar 2009 werden die Wahltarife noch weiter ausgebaut! Auch im Jahre 2009 wird der Kernpunkt der Reform eingeführt, der Fonds und eine Pflicht zur Krankenversicherung. In diesem Fonds oder Topf zahlen alle Krankenkassen ein, er wird auch gespeist von Steuerzuschüssen und aus ihm werden die Kosten, die entstehen im Gesundheitswesen, bezahlt. Für Versicherte neu von diesem Zeitpunkt an ist, dass jeder einen bundesweit einheitlichen Beitragssatz bezahlt. Reicht dieser jedoch nicht aus, können Kassen eine Zusatzprämie erheben, deren Höhe begrenzt ist. Eine Pflicht zur Krankenversicherung bedeutet, dass die 200.000 bis 300.000 Nichtversicherten in die gesetzlichen und privaten Kassen zurückkehren können. Einen Knackpunkt hat die Politik natürlich längst erkannt und er ist auch immer wieder Anlass zu heftigsten Diskussionen, nämlich wie die Milliarden Steuerzuschüsse für die gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden sollen. Sie sollen immerhin in den nächsten Jahren schrittweise auf 14 Milliarden Euro steigen.
Noch einen Satz zum Referenten des Abends: Dr. Gerald Gaß ist Leiter der Abteilung Gesundheit im entsprechenden Ministerium in Mainz und ist der kompetente Ansprechpartner zur Gesundheitsreform schlechthin, war er doch zusammen mit der Ministerin Malu Dreyer in Berlin an der Entstehung des Gesetzes hautnah beteiligt. Man kann ihn also wirklich mit Fragen löchern.