Autor: Allgemeine Zeitung Alzey
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ALZEY – Mit einem Untersuchungskoffer und einer Kiste bepackt steigt Dr. Friedel Rohr aus seinem Wagen. „Ich habe Taschentücher und Mittel gegen Husten, Schnupfen sowie Antibiotika dabei, die ich in meiner Praxis zusammengepackt habe“, erklärt der Framersheimer Arzt. Björn Becker, Leiter der Zeltstadt in der Robert-Bosch-Straße, nimmt ihn am Eingang zur Notunterkunft im Empfang. Er hilft Rohr, die Sachen in den Sanitätswagen zu tragen. Dort bietet der Framersheimer Arzt erstmals eine Sprechstunde für die Flüchtlinge an, die seit vergangener Woche im Alzeyer Industriegebiet übergangsweise untergebracht sind.
„Bisher kamen die Flüchtlinge zu mir in die Praxis“, erzählt Rohr. Der Gedanke, die ärztliche Betreuung vor Ort in der Flüchtlingsunterkunft anzubieten, kam von Dr. Jens Duersel-Mierswa vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) Mainz-Bingen, das zusammen mit dem Kreisverband Kirchheimbolanden die Notunterkunft leitet. „Die Einsatzleitung war der Ansicht, dass es sinnvoll ist, medizinische Versorgung in der Zeltstadt sicherzustellen“, sagt Duersel-Mierswa. Fest einen Arzt zu engagieren, sei schwierig umzusetzen gewesen, meint der DRKler. „Deswegen haben wir uns darauf geeinigt, solch eine Sprechstunde anzubieten.“ In der Freien Notarztgruppe in Alzey fragte Duersel-Mierswa bei seinen Kollegen an, wer für Sprechstunden in der Notunterkunft zur Verfügung stünde. Rohr erklärte sich bereit. „Das Problem ist, dass die Sanitäter in der Zeltstadt nur die Erstversorgung leisten dürfen“, erklärt der Framersheimer Arzt, wieso er sich ehrenamtlich einsetzt. Verbandsmaterial und Pflaster seien in der Zeltstadt vorhanden. Medikamente jedoch nicht, da sie von DRK-Helfern nicht ausgegeben werden dürfen. Nur mit Rücksprache und Genehmigung eines Arztes sei das möglich, erklärt Rohr die Gesetzesvorgabe.
Der erste Flüchtling kommt an den Sanitätswagen. Es ist ein vierjähriger Junge. „Na, was hast du, mein Kleiner?“, fragt Rohr. Erst zeigt der Junge auf seinen Hals, dann führt er seine Hände an seinen Kopf. Rohr nimmt den Flüchtling mit in den Sanitätswagen. Auch sein Onkel ist bei der Untersuchung dabei. „Es ist wichtig, dass jemand beim Übersetzen hilft“, erklärt Rohr. Doch weder der Junge noch sein Onkel können Englisch. Zufällig ist aber ein Dolmetscher vor Ort. Die Sprachbarriere ist überwunden.
Maximilian Kerzisnik, Rettungssanitäter beim DRK Mainz-Bingen, steht Dr. Rohr bei der Sprechstunde zur Seite. Für die beiden Wochen, in denen die Notunterkunft in Alzey bestehen soll, ist er für die Betreuung der Menschen im Einsatz. „Wenn die Flüchtlinge etwas haben, schaue unter anderem ich nach ihnen. Bei Notfällen transportieren wir sie dann in das DRK-Krankenhaus“, erzählt Kerzisnik.
„Eine Erkältung“, sagt Rohr nach der Untersuchung. Der DRK-Sanitäter notiert das Ergebnis auf die Ambulanzkarte des Jungen. Sie wird für jeden Flüchtling angelegt, der vom Arzt untersucht wird. „Es muss alles dokumentiert werden“, erklärt Kerzisnik. Dadurch haben die Ärzte einen konkreten Überblick über den Krankheitsverlauf der Flüchtlinge. Aus seinem Koffer holt der Framersheimer Arzt Tabletten heraus. Anschließend erklärt er dem Onkel und dem Dolmetscher, wie und wann sie eingenommen werden müssen. Der kleine Junge, der vor der Untersuchung noch etwas ängstlich wirkte, lächelt und winkt, als er den Sanitätswagen verlässt.
Zwei Stunden später ist der ehrenamtliche Einsatz von Rohr in der Zeltstadt vorbei. „Es war durchgehend jemand da“, berichtet er. Die Kommunikation habe fast immer funktioniert. „Viele Flüchtlinge beherrschten gutes Englisch.“ Rohr verabschiedet sich bis zur nächsten Sprechstunde, die er in der Zeltstadt anbietet.