Schulanfang

Herr Doktor, mein Kind kommt in die Schule…!

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11.07.2003

Die Sommerferien gehen zu Ende und damit beginnt für viele wieder der viel beschriebene Schulstress. Unsere „ABC-Schützen“ wissen zum Glück noch nichts von diesem Stress, ganz im Gegenteil, sie freuen sich auf ihren ersten Schultag, Schulranzen und Schreibtisch sind gekauft, die obligatorische Schultüte wird gebastelt oder steht schon bereit.
Nicht nur für das Kind beginnt ein neuer Lebensabschnitt, sondern auch für die Eltern. Sie haben plötzlich einen zusätzlichen Partner bei der Erziehung ihres Kindes: Die Lehrerin oder den Lehrer. So manche bange Frage wird dem Kind und auch den Eltern durch den Kopf gehen, bevor er endlich da ist: DER ERSTE SCHULTAG. Vor neuen und unbekannten Situationen empfinden viele Menschen Unbehaglichkeit oder gar Angst – die einen mehr, die anderen weniger, je nach Persönlichkeit. Ich möchte nachfolgend versuchen, Ihnen einige Tipps an die Hand zu geben, und sowohl Kindern als auch Eltern Mut machen, für die Bewältigung dieser neuen Situation. Eines ist klar und darf auch nicht vergessen werden: Kinder, Lehrer und Eltern sind auch bloß Menschen.
Beginnen möchte ich mit den Eigenschaften eines guten Ranzens.
– Ein Schulranzen sollte möglichst wenig Eigengewicht haben (ca. 1 kg). Wenn er gepackt ist, sollte er nicht schwerer sein als 10 % des Körpergewichts Ihres Kindes. Das heißt, wenn Ihr Kind im ersten Schuljahr so um die 20 kg wiegt, dann sollte es nicht mehr als 2 kg tragen müssen (Turnbeutel inbegriffen!). Leider sind trotzdem viele Ranzen zu schwer; in diesem Fall sollte nach Wegen gesucht werden, um die Kinder zu entlasten, z. B. durch Verbleib bestimmter Bücher in der Schule.
– Ein guter Ranzen sollte aber nicht nur leicht sein, sondern auch strapazierfähig und formstabil. Er sollte aufrecht stehen und breite, etwas abgepolsterte, Riemen haben, die nicht drücken.
– Ein Ranzen auf dem Rücken ist für die Wirbelsäule weniger belastend als eine Schultasche.
– Ein Schulranzen wird richtig getragen, wenn er gerade hängt. Deshalb ist ein hochformatiger Ranzen günstiger als ein querformatiger. Er sollte nicht wesentlich breiter sein als die Schulter des Kindes. Der Schulranzen wird auch richtig getragen, wenn er nur im Brustbereich der Wirbelsäule aufliegt. Bei zu langen Riemen drückt die körpernahe Unterkante des Ranzens gegen die Lendenwirbelsäule und kann durch Druck die Ausbildung eines Hohlkreuzes fördern.
Immer wieder wird darüber geklagt, dass Schüler durch Unmengen von Unterrichtsmaterialien zu reinsten Packeseln werden. ärztliche Untersuchungen von Kindern bestätigen, dass die Häufigkeit von Haltungsfehlern und dauerhaften Haltungsschäden vom Schuleintritt bis zum Beginn der Pubertät deutlich ansteigt. Daran ist allerdings nicht nur das Schleppen schwerer Schultaschen und Schulranzen schuld, sondern auch das stundenlange vornübergebeugte Sitzen auf unangepassten Stühlen und an Tischen in den Klassenräumen oder aber vor dem Fernseher zu Hause.
Was lässt sich in der Schule und zu Hause für eine gesunde Körperhaltung tun? Wir wissen, dass falsches Sitzen über lange Zeiträume eine Mitursache für die im Erwachsenenalter so häufigen Beschwerden an der Wirbelsäule und ihren Haltemuskeln sind.
Ein guter Sitzplatz sollte folgendermaßen aussehen:
– Tisch und Stuhl dürfen nicht zu hoch sein, die Füße sollten auf dem Boden stehen und nicht baumeln; Tisch und Stuhl sollten mehrfach verstellbar sein, also „mitwachsen“
– das Kniegelenk soll im Winkel von 90 Grad gebeugt sein, die Kniekehle soll nicht an die Stuhlkante stoßen, damit dort kein Druck auf die Blutgefäße entsteht
– in der Zuhörhaltung soll die Stuhllehne den Rücken unterhalb der Schulterblätter abstützen, in der Schreibhaltung am Beckenrand
– wünschenswert wären Tischplatten, die auf 15 Grad schräg gestellt werden können. Durch diesen Mechanismus können Kinder auch beim Schreiben und Lesen ihren Rücken gerade halten.
Leider finden sich häufig nur Tische und Stühle einer Größe in einem Klassenraum, weil diese Einheitlichkeit ordentlicher aussieht. Dabei haben die Kinder einer Klasse nicht selten Größenunterschiede von mehr als 20 cm. Es wäre eine gute Sache, wenn beim Aufstellen der Tische und Stühle auch an die Wirbelsäulen der kleinsten bzw. der größten Schüler einer Klasse gedacht würde.
Zum Schulanfang gehört auch das Verhalten im Straßenverkehr. Erwiesen ist, dass Kinder bis zu einem Alter von ca. 10 Jahren noch nicht in der Lage sind, sich im Verkehr voll aufmerksam zu bewegen, Situationen im Straßenverkehr richtig zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. Leider bestätigen dies Unfallstatistiken sehr deutlich. Wichtig ist, dass Eltern mit ihren Kindern das Verhalten im Verkehr üben und vor der Einschulung den zukünftigen Schulweg gemeinsam „erarbeiten“. Nach übereinstimmender Ansicht vieler Verkehrsfachleute sollen Schulanfänger – auch wenn sie noch so sehr darum bitten – nicht mit dem Rad in die Schule fahren. Zur Verkehrssicherheit aller, vor allem aber von Schulanfängern gehört eine farbenfrohe Kleidung, die eine Signalfunktion hat für Auto- und Motorradfahrer.
Ganz selbstverständlich gehört zum Schulanfang auch die Schultüte, die dem Kind den Schulanfang versüßen soll. Das muss man jedoch nicht wörtlich nehmen: Zu Süßigkeiten gibt es durchaus gesunde Alternativen, wie z. B. Obst, Studentenfutter, zuckerfreier Kaugummi, eine Müslimischung, Mal- und Zeichenutensilien usw.
Haben Sie den Eindruck, dass Ihr Kind schlecht sieht, sollte vor der Einschulung unbedingt noch der Augenarzt aufgesucht werden. Gleiches gilt auch für das Hören, hier ist der HNO-Arzt zuständig.
Zu einem guten Start in den Tag gehört ein gesundes Frühstück: Ein Kind, das morgens aufsteht, hat meist mehr als 10 Stunden nichts gegessen. Es ist also Zeit für Nährstoffnachschub, was übrigens auch für Erwachsene gilt. Ein gesundes Frühstück besteht aus einer Mischung von tierischen und pflanzlichen Nahrungsmitteln. Es sollte möglichst wenig Zucker enthalten. Zu einem wertvollen Frühstück gehören
– Getreideprodukte (Backwaren, Flocken)
– Milch- und Milchprodukte
– magere Fleischwaren, ab und zu 1 Ei
– Nüsse und Obst
Ungünstig sind Frühstückskombinationen aus Brot, Fett und süßem Aufstrich und Getränken, denen Zucker beigegeben wurde. Zur Frühstückspause in der Schule gehört natürlich auch ein gesunder, schmackhafter Pausenimbiss. überall dort, wo in Schulen gemeinsam gefrühstückt wird, berichten Lehrer von positiven Erfahrungen mit dieser Einrichtung „Gemeinsam frühstücken in der Klasse“. Das wirkt sich nicht nur auf den Konsum von Süßigkeiten und anderer weniger gesunder Lebensmittel aus, sondern das gemeinsame Frühstück macht den Kontakt zum Lehrer, zu den Mitschülern enger. Durch Gespräche beim Essen lernt man sich bekanntermaßen besser kennen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist natürlich auch, dass dem Kind eine gesunde Ernährung zu Hause auch vorgelebt wird!
Zur Steigerung der Konzentration gehört aber nicht nur ein gesundes Frühstück, sondern auch ausreichend Schlaf. So sollten Erstklässler schon auf eine Zahl von 11 Schlafstunden kommen; 17- bis 18jährige Schüler benötigen nur noch 8,5 Schlafstunden im Durchschnitt.
Viele Eltern und Lehrer klagen über eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit der Kinder. Konzentrationsschwäche kann mehrere Ursachen haben, Schlafmangel und einseitige Ernährung sind zwei davon. Eine dritte wichtige Ursache bildet die heutzutage weit verbreitete Reizüberflutung der Kinder: Zu viel Fernsehen und Videos. Der Fernseher setzt den Kindern fertige Bilder vor. Beim Anhören von Kassetten oder Radiosendungen, beim Lesen von Büchern entstehen jedoch durch Phantasie und Vorstellungskraft eigene Bilder, in die auch die bisher gemachten Lebenserfahrungen des Kindes einfließen. Bilder der Gewalt und Zerstörung, wie sie im Fernsehen (und erst recht auf vielen Videos) erscheinen, müssen Kinder hinnehmen wie sie sind. Wenn dagegen in einem Buch, im Radio oder auf einer Kassette etwas Schreckliches geschildert wird, kann sich ein Kind die Begebenheit soweit vorstellen, wie es sie aushalten kann. Bei Kindern, die viel fernsehen, entwickelt sich das Vorstellungsvermögen nur ungenügend. Damit fehlt ihnen eine wichtige Fähigkeit zum Lernen des Lehrstoffes in der Schule und später am Arbeitsplatz.
Wenn Fernsehen maßvoll und vernünftig genutzt wird, können gezielt ausgewählte, altersgerechte Fernsehsendungen die Kinderwelt durchaus bereichern. Kinder sollten nicht täglich fernsehen, sondern nur ab und zu. Grundschulkinder sollten nicht mehr als 60 Minuten fernsehen, und Kinder sollten nie mehrere Sendungen hintereinander anschauen. Diese Begrenzungen sollen sicherstellen, dass empfindliche Kinder nicht überreizt werden und dass genügend Zeit für andere Beschäftigungen bleibt.
Der Begriff Schulangst nimmt leider zunehmend Einzug in viele Familien. Von Schulangst wird gesprochen, wenn ein Kind die schulischen Anforderungen als andauernde, unausweichliche Bedrohung empfindet. Wenn sich bei einem Kind Misserfolg an Misserfolg reiht, ist es für die Eltern nicht nur wichtig, dass sie mit ihrem Kind üben, sondern auch, dass sie fähig sind, ausgleichend alle Leistungen ihres Kindes wahrzunehmen und zu würdigen, also auch die, die von der Schule nicht benotet werden. Es ist sehr traurig, wenn ein Kind, das mit den Leistungsanforderungen der Schule nicht zurecht kommt, von sich behauptet: „Ich bin eine Fünf“. Ein solches negatives Selbstbild begünstigt beim Heranwachsenden das Ausweichen auf zweifelhafte Lebenshilfen, wie Zigaretten, Alkohol, illegale Drogen, Beruhigungs- und Aufputschmittel, Süßigkeiten usw., usw. Angst entsteht auch immer dann, wenn kindliche Lernfreude nicht echt ist, sondern sich orientiert an den übertriebenen Forderungen der Eltern. Die Leistungen des Kindes steigern schließlich das Selbstwertgefühl und das Ansehen der Eltern. Viele Väter und Mütter schämen sich regelrecht, wenn ihr Kind Schwierigkeiten beim Lernen hat. Dementsprechend wird das Kind zum Lernen angetrieben, überfordert, Misserfolge stellen sich ein, Angst entsteht. Der Umgang mit Schulangst ist für Eltern zugegebenermaßen nicht einfach. Wichtig ist dabei ihre Aufgabe, das Kind in einem Gleichgewicht zu halten zwischen Anspannung und Entspannung, zwischen Sitzen und Bewegen, zwischen Spiel und Pflicht und zwischen Schlafen und Wachsein. Sollten Problemsituationen zu Hause oder in der Schule auftreten, so sollten Eltern Rücksprache mit dem behandelnden Arzt oder dem Schulpsychologen nehmen.

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