03.07.2001
Frage:
Der Impfstoff Procomvax mit Hib- und Hepatitis B-Antigenen kann laut Beipackzettel bis zum 15. Lebensmonat gegeben werden. Bis zu diesem Zeitpunkt ist in der Regel die abschließende 3.Procomvax-Impfung nicht erfolgt, da ja mit der Impfung gegen Diphtherie-Tetanus-Keuchhusten kombiniert wird bzw. nach Angabe der Firma mit Quatro-Virelon kombiniert werden sollte.
Was passiert mir als Impfarzt, wenn ich über dieses datum hinaus Procomvax verwende, insbesondere dann, wenn ein unerwünschtes Ereignis auftreten sollte?
Antwort:
Nach Auffassung des anfragenden Kinderarztes kann entgegen der Empfehlung im Beipackzettel von Procomvax die abschließnde dritte Impfung in der Regel nicht bis zum 15. Lebensmonat gegeben werden. Welche haftungsrechtlichen Konsequenzen bestehen für den Arzt, wenn Procomvax nach genanntem Lebensmonat gleichwohl appliziert wird und infolgedessen ein unerwünschtes Ereignis auftreten sollte?
Bei der Rezeptierung und Medikation schuldet der behandelte Arzt grundsätzlich den Standard eine sorgfältig arbeitenden (Fach)-Arztes. Auf die Angaben oder Instruktionen des pharmazeutischen Unternehmers darf sich der Arzt grundsätzlich nicht verlassen, sofern nicht Bedenken in der Fachliteratur erkennbar dagegen sprechen. Der Arzt hat demnach die Indikation für eine Schutzimpfung nach dem Standard der medizinischen Wissenschaftin seinem Fachgebiet zu beurteilen und wird sich regelmäßig auf die hierzu ergangenen, aktuell veröffentlichten STIKO-Empfehlungen verlassen können. Anerkannt ist, dass diese im Zeitpunkt der Beschlussfassung den aktuellen medizinischen Erkenntnisstand (Standard) wiedergeben.
Entscheidend für die Bestimmung der ärztlichen Handlungspflicht – auch in Form der Prophylaxe – ist somit nicht der Zulassungsstatus (obwohl dieser ein starkes Indiz sein kann), sondern der Stand der medizinischen Wissenschaft, der durchaus den Zulassungsstatus überholen oder ausweiten kann. In diesem Fall muss der Arzt sich ausreichend über die neue oder eine andere Methode informieren. Im Rahmen der generell bestehenden Pflicht zur Aufklärung des Impflings vor jeder Impfung muss dieser nun besonders umfassend aufgeklärt werden. Insbesondere ist er auf die Anders- oder Neuartigkeit der Methode und auf die sich darauf möglicherweise ergebenden neu- oder andersartigen Risiken hinzuweisen. Wird der Einsatz des von dem Arzt verordnetem und applizierten Impfstoffes nicht durch die Reichweite der arzneimittelrechtlichen Zulkassung – die nur für diejenigen verbindlich ist, der das Arzneimittel in den Verkehr bringt – gedeckt, so ist auch über die fehlenden Zulassung in diesem Aspekt aufzuklären
Es sollte daher auf jeden Fall durch den Arzt schriftlich festgehalten werden, dass der Impfling bzw. die Erziehungsberechtigten im Falle minderjähriger Kinder über die genannten Aspekte aufgeklärt wurden. Noch „sicherer“ ist natürlich das Vorliegen einer schriftlichen Bescheinigung des Impflings bzw. der Erziehungsberechtigten über die umfassend erfolgte Aufklärung durch den Impfarzt.
Sofern dies geschehen ist, haftet der Impfarzt nicht, wenn er Procomvax entgegen der Fach- und Gebrauchsinformation nach dem 15. Lebensmonat appliziert, wenn er aufgrund des aktuellen medizinischen Erkenntnisstandes nicht wider besseren Wissens zu einer anderen Entscheidung gelangen konnte. Aufgrund umfangreicher Fachliteratur sowie entsprechender STIKO-Empfehlung, die die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit der Applikation dieser Impfstoffe bei Kleinkinder nach Vollendung des 15. Lebensmonats belegen bzw. diesen nicht widersprechen und zwar auch im Hinblick auf die gleichzeitige Gabe weiterer Kombi-Impfstoffe, handelt er nämlich mit der gebotenen Sorgfalt im Rahmen seiner Therapiefreiheit.