13.01.2006
210 kg – können Sie sich vorstellen, dass Sie dieses Gewicht mehrere tausendmal mal pro Tag stemmen? Es mag Ihnen unmöglich vorkommen, das auch nur ein einziges Mal zu schaffen. Aber Ihren beiden Hüftgelenken gelingt dies, denn sie müssen beim Gehen ein Vielfaches Ihres Körpergewichts tragen. Und das bei jedem Schritt, ein ganzes Leben lang. Deswegen ist das Hüftgelenk auch besonders stabil. Von seinen knöchernen Bestandteilen ist es das größte Gelenk im Körper, und von seinen Bändern her das stärkste. Allein das Hauptband des Hüftgelenks, der Ligamentum iliofemorale, könnte mit einer Kraft von 350 kg auseinander gezogen werden, ohne dass es zerreißt.
Das Hüftgelenk ist die Verbindung zwischen Oberkörper und Beinen. Zum Oberkörper gehört der Beckenknochen. Hier befindet sich auf beiden Außenseiten eine flache Mulde, die teilweise mit spiegelglattem Knorpel überzogen ist. Diese heißt Hüftpfanne. In dieser liegt der kugelförmige Oberschenkelkopf, der ebenfalls mit Knorpel überzogen ist. Der Knorpel schützt die empfindlichen Knochen davor, dass sie direkt aneinander reiben. Ist der Knorpel abgerieben, schmerzt jede Bewegung.
Der Oberschenkelkopf kann sich in der Hüftpfanne in alle Richtungen bewegen. Weil dies mit einer Haselnuss vergleichbar ist, die in einer teilweise geöffneten Schale hin und her kugelt, wird das Hüftgelenk als „Nussgelenk“ bezeichnet. Es ist genauso beweglich, wie z. B. das Schultergelenk, aber wesentlich stabiler und weniger anfällig für Auskugelungen und Ausrenkungen. Wenn Pfanne und Kopf nicht optimal zueinander passen, spricht man von einer Fehlformung des Hüftgelenks (Dysplasie). Dabei ist meist die Pfanne zu abgeflacht, sodass der Hüftkopf nicht in der Mitte der Pfanne zu liegen kommt. Das Gelenk wird falsch belastet. Dadurch kommt es früh schon zu einem schmerzhaften Gelenkverschleiß. So wird heute schon in den ersten zwei Lebenswochen therapiert, wenn sich durch eine unschädliche Ultraschalluntersuchung Hinweise auf eine Dysplasie ergeben. Dabei wird dem Baby eine Spreizhose oder Spreizwindeln angezogen, durch die der Hüpfkopf in der Mitte der Pfanne zu liegen kommt. Auf diese Weise, so hofft man, formt sich die flache Pfanne noch nachträglich um den Hüpfkopf herum.
Pfanne und Oberschenkelkopf sind eingebettet in eine dickwandige Kapsel aus Hüftgelenksbändern. Diese sind sehr raffiniert angeordnet. Wird das Bein nach vorn gestreckt, oder neigt man den Oberkörper nach hinten, dann verdrillen sich die Bänder um den Oberschenkelhals und blockieren. Auf diese Weise können wir energiesparend stehen, nur von den starken Bändern im Hüftgelenk gehalten.
Wir können die Hüftgelenksbänder auch maximal entspannen. Dies geschieht in Rückenlage, wenn wir die Oberschenkel um 45 Grad, also einen halben rechten Winkel, zum Oberkörper heranziehen, die Beine ein bisschen öffnen und die Knie leicht nach außen fallen lassen. Bei einer Hüftgelenksentzündung (durch Rheuma oder Gelenkverschleiß) ist das von Vorteil, weil die entzündete Kapsel weniger gespannt ist und daher weniger schmerzt.
Damit der Hüftkopf gut in der Hüftpfanne liegt und trotzdem die Beine senkrecht nach unten zeigen, hat der Oberschenkelknochen am oberen Ende ein abgewinkeltes Stück, das ist der Oberschenkelhals. Bei Kindern ist der Winkel zwischen Oberschenkelhals und Oberschenkelknochen groß (145 Grad). Im Laufe des Lebens wird der Oberschenkelhals nach unten gedrückt und der Winkel verkleinert sich (beim Greis: 120 Grad). Das ist äußerlich sichtbar, weil man dadurch O-Beine bekommt. Es sinkt auch die Stabilität des Oberschenkelhalses. Weil viele Menschen im Laufe des Lebens zudem unter einem Schwund der Knochendichte (Osteoporose) leiden, bei der auch der Oberschenkelhals porös und unelastisch wird, steigt die Gefahr eines Oberschenkelhalsbruches. Dabei durchbricht der Hals des Oberschenkels. Dies ist problematisch, weil oft die Blutzufuhr zum Oberschenkelkopf unterbrochen wird. Dadurch kann der Knochen nicht heilen, er bricht zusammen und stirbt ab (Nekrose). Früher war ein Oberschenkelhalsbruch häufig mit Bettlägerigkeit, Wundliegen und Lungenentzündung mit Todesfolge verbunden. Heute wird schnell ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt. Ein bis zwei Tage nach der Operation sind schon die ersten Schritte mit einer Gehhilfe möglich.
Auch ein Gelenkverschleiß kann einen Hüftgelenksersatz zur Folge haben. Übergewicht ist ein wichtiger Grund für den Gelenkverschleiß, weil damit bei jedem Schritt noch mehr Belastung als bei einem normalgewichtigen Menschen auf der Hüfte lastet. Bewegungsmangel ist die Verschleißursache schlechthin, weil in die schützenden Knorpelüberzüge nur durch Bewegung Nährstoffe sozusagen hineingedrückt werden. Die Werkstoffe für die künstlichen Gelenke sind heute sehr weit fortentwickelt und das Einsetzen gehört – durch geübte Hand – zu den Standardoperationen.
Hüftgelenksersatz
Bei einem künstlichen Hüftgelenk kann entweder nur der Oberschenkelhals mitsamt Kopf oder zusätzlich auch die Gelenkpfanne ersetzt werden. Der Stiel des Oberschenkelimplantats wird in das Knochenmark des Oberschenkels eingetrieben. Wichtig ist, dass die künstlichen Gelenkteile gut mit dem bestehenden Knochen verwachsen, damit das Gelenk stabil ist.
Die älteren Materialien für ein künstliches Gelenk sind Metall/Polyethylen oder Keramik/Polyethylen. Hier besteht die Gefahr, dass es durch die Reibung der Gelenkflächen zu einem Abrieb kommt und die Mikroteilchen sich im Gelenk ablagern. Dann kümmern sich körpereigene Abräumzellen zuerst um die Abriebteilchen, und dann möglicherweise gegen den eigenen Knochen in der Umgebung des Kunstgelenkes. Auf diese Weise kann es schließlich zu einer Lockerung des Kunstgelenkes kommen, so dass ein weiterer operativer Eingriff notwendig wird.
Bei den modernen Materialien – wie etwa bei Keramik/Keramik- oder die Metall/Metall-Kombination – ist der Abrieb nur noch gering. Der längeren Haltbarkeit dieser neuen Gelenke steht als Nachteil gegenüber, dass sie meist selbst gezahlt werden müssen.
Krankheiten
Hüftarthrose: Abrieb des Knorpels an Hüftkopf und Hüftpfanne, dadurch läuft das Gelenk nicht mehr glatt und es schmerzt. Ursachen: Bewegungsmangel, Übergewicht, Dysplasie. Therapie: künstliches Hüftgelenk.
Hüftkopfnekrose: Absterben des Hüftkopfes, dies geschieht, wenn das zuführende Blutgefäß gerissen ist, z. B. nach Oberschenkelhalsbruch. Therapie: neuer Hüftkopf.
Oberschenkelhalsbruch: Bruch des abgewinkelten Oberschenkelknochens, typisch mit dem Älterwerden, da die Knochen weniger stabil und weniger elastisch sind. Therapie: neuer Oberschenkelhals.
Hüftgelenkdysplasie: Fehlbildung des Hüftgelenks, meist ist die Pfanne zu flach. Wird im Säuglingsalter durch Spreizhose therapiert, führt sonst im Alter zu vorzeitigem Gelenkverschleiß.
Coxa vara: Verbiegung des Oberschenkelhalses nach unten, dadurch verändert sich die Beinstellung und es kommt zu O-Beinen.
Hüftgelenksentzündung: Durch Rheuma, Gelenkverschleiß, Fehlbelastung kann es zu einer Entzündung ohne Bakterien kommen, dies kann zu schmerzhaften Kalksalzablagerungen führen.