Testosteron gilt als Lifestylehormon, denn viele Männer meinen, sie erhielten erst dadurch sexuellen Schwung. Für Mediziner gehörte diese Vorstellung bislang in den Bereich der Mythen. Allenfalls wird Testosteron als libidosteigernd angesehen. Dass sich hinter der in der Bevölkerung verbreiteten Ansicht doch mehr Wahrheit verbirgt, als zunächst angenommen, war auf dem 4. Congress of the European Society for Sexual and Impotence Research zu hören. Dort berichtete Professor Jacques Buvat, Lille, France, dass zwar einerseits einige Männer sexuell aktiv sind, auch wenn sie einen sehr niedrigen Testosteronspiegel haben. „Andererseits haben einige sehr gut designte Studien mit hypogonadischen Männern gezeigt, dass das sexuelle Verlangen und die nächtlichen Erektionen vom Testosteron abhängen“, sagt Buvat. Bei 65 % der hypogonadischen Männer kann die erektile Dysfunktion durch eine Testosterongabe erfolgreich therapiert werden, bei 17 Prozent Erfolg mit Placebo, zitierte Buvat eine Metanalyse von 16 Studien.
Somit scheint also eine Erektion tatsächlich auch testosterongesteuert zu sein und nicht nur die Libido.
„Es gibt Hinweise, dass die Rezeptorempfänglichkeit im Schwellkörpergewebe vom Testosteronspiegel abhängig ist. Damit wird die Qualität der Erektion durch das Testosteron vor Ort mitgesteuert. Weiterhin gibt es auch eine direkte erektions-stimulierende Wirkung von Testosteron“, berichtet auch Professor Michael Sohn, Chefarzt der Urologischen Klinik am St. Markus-Krankenhaus Frankfurt/Main in einem Interview am Rande des Kongresses.
Warum ist es aber so schwer, in Bezug auf die Wirksamkeit von Testosteron zu einer einhelligen Meinung zu kommen? „Zum einen muss zwischen freiem und albumingebundenem Testosteron unterschieden werden. Nur das freie Testosteron kann theoretisch in eine Zielzelle eindringen“, erklärt Buvat. „Weiterhin ist die Menge an freiem Testosteron, die ein Mann für eine optimale sexuelle Funktion benötigt, individuell verschieden. Die Mindestmenge variiert zwischen 2.0 ng/ml bis 4,5 ng/ml“, so Buvat. Ergänzend fügt Sohn hinzu, „dass die Normwerte vom Labor und vom Testsystem abweichen. Die Produktion von Testosteron folgt zudem einem Biorhythmus, der zu einem Testosterongipfel zwischen 10 und 11 Uhr vormittags führt.“ Zudem reduziert sich der Anteil des bioverfügbaren freien Testosterons im Laufe des Älterwerdens zugunsten des gebundenen Testosterons. Trotz dieser Schwierigkeiten kann man momentan auf die Frage, „wann ist Testosteron zu substituieren“, nur antworten, „wenn ein Defizit besteht“, sagte Sohn. Eine eindeutige Indikation für eine Testosteronsubstitution besteht dann, wenn ein Patient mit einer erektilen Dysfunktion generell auch keine Lust mehr empfindet.