Erbanlagen

Sie bestimmen unser Aussehen und noch viel mehr

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29.05.2006

Szenen wie diese spielen sich in jeder Familie ab: Kommt der Sohn stolz mit einer 2 in Mathe nachhause, sagt der Vater möglicherweise, „na ja, das hat er von mir.“ „Ganz die Mutter“ heißt es dann vielleicht, wenn es um die süßen Sommersprossen, die schönen dunklen Augen oder die Sprachgewandtheit des Kindes geht. Dabei ist selbstverständlich klar, dass sowohl der Vater seine Mathekenntnisse als auch die Mutter ihre Sommersprossen noch besitzen. Denn Eltern geben ihren Kindern nur die Erbanlagen weiter. Mittlerweile entdeckte man, dass auch viele unserer Gedanken und Charaktereigenschaften von den Erbanlagen bestimmt werden.

Mit dem Begriff „Erbanlagen eines Menschen“ bezeichnet man die Gesamtheit aller Gene, die ein Mensch besitzt. Gene wiederum sind eine Art von Bauanleitungen, mit denen der Körper wichtige Eiweiße (wie z. B. Enzyme oder Transporteiweiße) herstellen kann. Diese Eiweiße braucht er überall, wenn etwas regelmäßig gesteuert werden soll. Während der Heranreifung des Menschen sind Gene auch Bauanleitungen für einzelne Körperteile. Wo aber sitzen diese Gene und wie kann man sie sich vorstellen?

Ganz allgemein erst einmal: In nahezu jeder unserer Körperzellen – und davon gibt es schätzungsweise 75 Billionen – befindet sich ein Zellkern. Dieser ist der Ort für die Erbanlagen. Wir besitzen also schätzungsweise 75 Billionen mal die gleichen Erbanlagen. Sie bestehen aus einem bestimmten Stoff, der kompliziert als Desoxyribonukleinsäure bezeichnet wird. Darin sind die Wörter „Nuklein“ und „Säure“ versteckt, es ist also eine „Zellkernsäure“. Der geläufige Ausdruck für diesen Stoff lautet DNS (manchmal wird DNA dazu gesagt, das ist die englische Abkürzung und meint das gleiche). Die DNS ist aus ganz einfachen Stoffen aufgebaut, nämlich Phosphorsäure, Zucker und vier verschiedenen Basen. Daraus wird im Grunde eine lange dünne Kette mit zwei Strängen gebildet. Die lange DNS-Kette kann man in insgesamt 20.000 bis 25.000 kleine Abschnitte einteilen. Jeden dieser Abschnitte bezeichnet man als Gen. Allerdings gibt es jetzt noch etwas Organisatorisches zu berücksichtigen. Die DNS-Kette liegt nicht als einzelnes langes Gebilde vor, denn dann wäre sie 2 Meter lang! Und wie soll die in einem Zellkern Platz haben, der so klein ist, dass man ihn gerade noch so eben im Mikroskop sehen kann? Das ist die berühmte Doppelhelix. D. h. unsere Erbsubstanz sieht aus wie eine Wendeltreppe. Dabei muss man sich die Basen als Treppenstufen und Zucker und Phosphat als Treppengeländer vorstellen. Diese Form haben die Biologen Watson und Crick im Jahr 1953 entdeckt und 9 Jahre später dafür den Nobelpreis bekommen. Zusätzlich ist die DNS-Kette wie der Faden um einen Finger mehrfach aufgewickelt und außerdem in sich verdrillt.

Außerdem liegt die DNS-Kette auch noch in 46 einzelnen Stücken vor. Immer zwei Stücke bilden ein Paar. Dies ist ein so genanntes Chromosomenpaar. Es ist übrigens wichtig, dass die Chromosomen als Paar vorliegen. Wenn nicht, haben wir es mit einer Krankheit zu tun. Das Chromosom 21 beispielsweise liegt manchmal nicht nur doppelt, sondern gleich dreimal vor. Die daraus entstehende Fehlbildung nennt sich Trisomie 21 (auch Down-Syndrom, früher Mongoloismus). Sie ist nicht heilbar.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie schafft es die verdrillte und gewickelte DNS, die gut verpackt in einem Zellkern liegt, unseren Körper zu steuern? Das geht so: Soll ein bestimmtes Gen eingeschaltet werden, setzt sich ein Startermolekül auf dem benötigten Abschnitt auf der DNS-Kette fest. Dieser Abschnitt wird jetzt mehr oder weniger einfach verdoppelt und löst sich von der DNS. Das „kopierte Gen“ (medizinisch: Messenger-RNA) ist so klein und wendig, dass es durch eine Pore in der Zellkernhülle hindurchschlupfen kann. Dann macht sich das „kopierte Gen“ auf den Weg zu den zahlreichen Fabrikgebäuden für Eiweiße (Ribosomen), die in jeder Körperzelle vorhanden sind. Es wird durch diese Fabrikgebäude hindurchgeschleust, dabei funktioniert es als Bauanleitung für die Produktion von Eiweiße. Mit der Zeit zerfällt das Gen und ist nicht mehr als Bauanleitung zu gebrauchen. Ist der Bedarf an dem entsprechenden Eiweiß aber gedeckt, wird keine neue „Genkopie“ gebildet.

Weil die Gene also ein Bauplan für unseren Körper und sogar für unseren Charakter sind, könnte man doch mit einer Gentherapie die Krankheiten behandeln, die auf einem Gendefekt beruhen, z. B. die Mukoviszidose? Dabei machen sich Forscher eine raffinierte Eigenschaft von Viren zunutze. Viren können nämlich fremde Zellkerne beeinflussen und dort ihre eigenen Erbanlagen verdoppeln lassen. So wird derzeit erforscht, von Viren genau das menschliche Gen einschleusen zu lassen, das bei den Mukoviszidose-Patienten defekt ist.


Erbkrankheiten

Albinismus: Fehlen des Hautpigmentes, was zur Anfälligkeit gegenüber Krebserkrankungen und zu Augenproblemen führt.

Kretinismus: Hormonmangelkrankheit der Schilddrüse; führt zu gestörter Körper- und Gehirnentwicklung.

Hasenscharte: Mund-Kiefer-Gaumenspalte, u. a. Oberlippe gespalten

Achondroplasie: angeborener Zwergwuchs

Chorea-Huntington: der erbliche Veitstanz, eine tödliche Nervenerkrankung, die erst mit 35 bis 45 Jahren ausbricht.

Sichelzellenanämie: Weil sie eine falsche Aminosäure besitzen, fallen die roten Blutzellen in sich zusammen und nehmen eine Sichelzellenform an, wenn der Sauerstoffgehalt des Blutes gering ist. Führt zu Hirn- und Organschäden. Tritt oft unter Afro-Amerikanern auf.

Tay-Sachs-Krankheit: Durch ein funktionsuntüchtiges Enzym werden bestimmte Hirnfette nicht abgebaut, der Säugling leidet unter Krampfanfällen, erblindet, Tod nach wenigen Jahren.

Mukoviszidose: Durch ein fehlerhaftes Eiweiß ist der Transport in die Zelle gestört, es kommt zu einer dicken Schleimschichtbildung in vielen Organen. Die Atemwege verstopfen, die allgemeine Infektionsgefahr steigt.

Rotgrün-Blindheit: Die Farben rot und grün können nicht unterschieden werden.

Hämophilie: Bluterkrankheit, Mangel an Blutgerinnungsfaktor, Wunden hören schlecht auf zu bluten.


Wie Zwillinge entstehen

Eigentlich ist pro Schwangerschaft nur das Heranwachsen eines Babys vorgesehen. Denn wenn bei der Befruchtung die männliche Samenzelle mit Hilfe von Enzymen in die Eizelle eingedrungen ist, wird normalerweise sofort die Hülle der Eizelle verstärkt. So kann kein weiteres Spermium hindurchkommen. Bei eineiigen Zwillingen verläuft diese Reaktion im Prinzip auch so, nur teilt sich hier die befruchtete Eizelle in einem frühen Entwicklungsstadium in zwei Zellgruppen, die zu selbstständigen aber genetisch gleichen Babys heranwachsen. Anders aber bei mehreiigen Zwillingen: Hier hat der weibliche Körper zwei geschlechtsreife Eizellen zur gleichen Zeit gebildet, weshalb dann auch zwei Eizellen befruchtet werden können. Die mehreiigen Zwillinge sind deshalb nur so ähnlich wie normale Geschwister, während die eineiigen Zwillinge von außen kaum zu unterscheiden sind.

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